Macht das tragen einer Schutzweste im Sicherheitsdienst Sinn?

Der Markt an Schutzwesten ist so groß wie nie zuvor. Angefangen von der Verkehrssicherheitsweste in Hi Viz gelb (ja, auch das ist eine Schutzweste) bis hin zum SK 4 Plattenträger gibt es alles zu kaufen.

Machen diese Westen für private Sicherheitsdienstleister Sinn?

Solange diese Westen unter der Oberbekleidung wie Jacken und Hemden getragen werden, wird sich kaum einer daran stören, es entsteht kein „martialisches“ Erscheinungsbild. Eine Signalweste, wie sie in jedem Auto mitgeführt werden muss, erweckt in der Öffentlichkeit keinen martialischen Eindruck, warum? Eben weil, diese Westen in der öffentlichen Wahrnehmung normal geworden sind. Jeder Autofahrer kennt sie aus seinem eigenen KFZ und man kennt sie von diversen anderen Berufsgruppen, angefangen von Bauarbeitern bis hin zu Mitarbeitern des ADAC. Sie sind zur Normalität geworden, aber es sind genau genommen nur „reine“ Schutzwesten. Sie haben den Zweck, wahrgenommen zu werden, um Unfälle durch übersehen des Trägers zu vermeiden.

Die Polizeien der Länder und des Bundes sind mittlerweile mit Schutzwesten, die gegen Schuss- und Stichverletzungen schützen sollen, ausgestattet. Diese werden mittlerweile über der Oberbekleidung getragen. Warum? Trägt der Beamte die Weste unter seinem Hemd im Revier, wird diese schnell zur Last. Hitzestau und Unbequemlichkeit sind die Folge, die die Akzeptanz durch den Träger schwinden lässt. Wenn ein Einsatzmittel keine Akzeptanz findet, wird es nicht mitgeführt bzw. eingesetzt.
Aus diesen Gründen wurden die Schutzwesten der Polizeien als „Überziehweste“ konfiguriert, Der Träger kann diese über dem Hemd, oder über der Jacke tragen, sie bei Bedarf anlegen und ausziehen, und wird somit zur obersten Kleidungsschicht. Auf der obersten Kleidungsschicht machen auch Taschen für die Ausrüstung Sinn, hat man dort ja am schnellsten Zugriff darauf. Taschenlampen, Notizblöcke, Bodycams und sonst noch allerlei Ausrüstungsgegenstände werden so Zugriffsbereit mit sich geführt.Das wirkt auf den unkundigen Betrachter zuweilen irritierend, ist aber absolut zweckmäßig.

Gegner der „sichtbaren“ Schutzwesten werfen gerne als Argumentation ein, ein Angreifer würde sich damit andere Körperregionen zum Ziel seines Angriffs machen. Ja, das könnte durchaus sein. Es versetzt den Verteidiger aber auch in die Lage vorrangig die Körperregionen zu schützen, die nicht von der Schutzkleidung, der Weste, geschützt sind. In Momenten wo Stress und Hormonausschüttungen, die zumindest kurzfristig die Oberhand in einer Gefahrensituation haben, ist die Reduzierung möglicher Angriffspunkte essentiell wichtig. Es dürfte klar sein, wird der Verteidiger ohne entsprechendes Training auch mit Schutzweste einen Angriff nur mit viel Glück ohne eigene Verletzungen überstehen.
Jedes Einsatzmittel muss beherrscht und nicht nur gekannt werden, das gilt auch für die Schutzweste.Das Schutzkonzept muss daher wie ein Getriebe gesehen werden, dass nur dann funktioniert, wenn die Zahnräder, in diesem Fall die Ausrüstung und das individuelle können des Benutzers, ineinander greifen.

Jetzt wird jeder Leser bis zu dieser Stelle sagen: „Das ist für Polizeibeamte – logisch und nachvollziehbar, aber was hat das mit Mitarbeitenden der Sicherheitsdienste zu tun?“ Jede Menge!

Die Strafverfolgungsbehörden kommen immer mehr retrospektiv zum Zuge, bedeutet sie werden meist hinzugerufen, wenn sich gewalttätige Lagen schon entfaltet haben. Der Sicherheitsdienstmitarbeiter hingegen wird immer mehr präventiv zum Einsatz kommen, er ist oft der erste, der mit gewalttätigen Situationen konfrontiert wird. Diese Gewalttaten werden immer mehr, unter Zuhilfenahme von Gegenständen, Waffen und in Überzahl ausgeübt. Die Hemmschwelle, Gewalt auszuüben, auch mit Einsatz von Waffen, sinkt von Jahr zu Jahr mehr.

Darum steigt auch die Zahl derer, die im Rahmen einer Tätigkeit im Sicherheitsdienst eine Weste tragen. Die Mitarbeitenden tragen, aus gleichen Gründen wie die Polizisten, diese auch vermehrt als oberste Bekleidungsschicht. In der Öffentlichkeit entsteht dabei aber oft ein falsches Bild des „Rambos“, weil den Betrachtenden das Hintergrundwissen fehlt.
Der Sicherheitsdienstmitarbeitende übernimmt im Rahmen seiner Beauftragung eine Garantenstellung, die verpflichtet ihn u. a. zu mehr Engagement bei Hilfslagen. Aber auch er hat ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, und wenn ihm dabei das Tragen einer Schutzweste hilft, ist es sein gutes Recht eine zu tragen.

Legt man die Risikomatrix nach Nohl dafür zu Grunde, gibt es zwei Faktoren die das Risiko ergeben: Die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Angriffs, und die dadurch resultierende Schwere einer Verletzung. In der Schnittmenge dieser Faktoren steht, ob das Risiko akzeptabel ist, oder ob man Maßnahmen ergreifen muss, um das Risiko auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Eine mögliche Maßnahme zur Reduzierung kann durchaus das tragen einer Schutzweste sein.
Die Öffentlichkeit sollte sich daher an den Anblick von Schutzwesten tragender Sicherheitsdienstmitarbeitenden gewöhnen, es sollte so selbstverständlich werden, wie das Anlegen eines Sicherheitsgurtes im Auto, und das ist seit Jahren verpflichtend.
Bestes Beispiel dafür könnten die Radfahrer sein. Vor 25 Jahren wurde man Helm tragend auf dem Rad noch belächelt, heute schüttelt man den Kopf über diese, die keinen tragen…

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